Donnerstag, 9. September 2010

Budō-Karate: Was soll das denn sein!?

  Karate ist nicht gleich Karate. Ich benutze den Begriff „Budō-Karate“, um mein Karate von anderen Auslegungen abzugrenzen. „Budō-Karate“ ist allerdings nicht meine Wortschöpfung, sondern sie wurde bereits in den 1930er Jahren verwendet. Dummerweise wird der Begriff „Budō“ heute in Japan sehr unterschiedlich aufgegriffen. Für mich hat er einerseits nichts mit sportlichem Vergleich, Medaillen usw. zu tun. Andererseits bezieht er sich auch nicht auf philosophisches Kauderwelsch oder spirituelle Erleuchtungszustände.

Im Blog eines japanischen Budō-Fans fand ich einen Absatz über meinen Karate-Lehrer und den Kommentar, daß sein Karate wirklich anders sei, als das, was man heutzutage so sähe. Darin vergleicht er ihn mit Mifune Kyūzō Sensei vom Jūdō und meint, daß für ihn die Art des Budō meines Lehrers und die von Mifune Sensei reizvoll sei. Doch es sei äußerst schwierig, sie zu erlernen. Er hat mit beiden Aussagen recht. Dieses Budō ist „anders“ und es kann nicht mal eben so gelernt werden.

Natürlich betreiben wir Karate und es gibt technische und inhaltliche Unterschiede zum Jūdō. Der offensichtliche Reiz aber ist die scheinbare Leichtigkeit, mit der beide Sensei ihre Trainingspartner in Kampfübungen beherrschen.

Einmal wurde ich zu einer Kendō-Prüfung in den Tōkyō Budōkan eingeladen, bei der nur Prüflinge mit dem 7. Dan anwesend waren und sich der Prüfung zum 8. Dan stellten. Ein Kendōka, dessen Name ich mal unter den Tisch fallen lasse, erklärte mir, daß er bereits 80 Jahre sei und nun schon zum fünften oder sechsten Mal zu dieser Prüfung antrat. Bisher hatte er nie bestanden (bezahlen mußte er natürlich trotzdem immer). Er wußte auch, was genau er zu verbessern hatte. Nun gibt es im Kendō nicht wirklich viele Techniken und Kata. Der zu verbessernde Punkt betraf sein Können in der Kampfübung und war sehr subtil. Würde er von einem Straßenschläger angegriffen und müßte sich mit einem echten japanischen Säbel verteidigen, dann ginge die Sache für den Straßenschläger sicher sehr blutig aus. Sein Problem bestand also nicht darin, mal eben irgendwie die Oberhand zu behalten.


Technischer Fortschritt, der bewußt gesteuert wird und nicht das bloße Ansammeln technischer Verfahren oder Kata meint, ist im Budō also bis ins hohe Alter möglich, tatsächlich sogar vorgesehen. Selbstverständlich unterscheidet sich ein so erarbeitetes Niveau erheblich vom üblichen Mittelmaß – es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre.

Im Budō-Karate setzte ich mir ein klares, langfristiges technisches Ziel, das ich verwirklichen werde. Ich versuche es nicht nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ anzugehen. Ich werde es erreichen. Andernfalls würde ich meine Zeit verschwenden. Alle Übungsformen, die meinem Ziel nicht förderlich sind, interessieren mich nicht, da sie mich nur aufhalten würden. Wenn ich ein Eis essen will, gehe ich zum Eismann und nicht zur Pommesbude -  ist doch klar, oder?

Zur „Andersartigkeit“, dem bestimmten technischen Ziel und dem notwendigen Entschluß, dieses Ziel erreichen zu wollen, kommt im Budō-Karate noch das Wie des Trainings hinzu.

Ich kenne mein Trainingsziel, das durch meinen Karate-Lehrer verkörpert wird. Folglich ist er in der Lage, mir zu vermitteln, wie genau ich dieses Ziel erreichen kann. Die grundlegende Voraussetzung für das Wie klingt erstaunlich einfach: Qualität statt Quantität. Je weniger Trainingsteilnehmer, desto besser. Je weniger Ritual, desto besser. Je weniger technischer Schnickschnack, desto besser. Natürlich benötige ich einen Trainingspartner, der dasselbe Ziel ansteuert wie ich. Dann brauche ich nur noch die Anleitungen meines Lehrers umzusetzen – und genau das tue ich.

Budō-Karate lerne ich also nicht durch das Zufallsprinzip, durch Raten oder Reiten von Modewellen. Ich hoffe, daß durch diese Zeilen wenigstens etwas klarer wurde, wofür Budō-Karate steht.

© Henning Wittwer